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Dienstag - 30.06.2020

Wege durch das Füllenbruch

Ein Artikel von Meiko Haselhorst, der auch im Zuge der Reihe „Wege durch den Sommer“ in der NW veröffentlicht wurde
Enger, 09.06.2020

Klatschmohn, Rosen, Ackerwinde

Wege durch den Sommer (1): Wer morgens um halb sieben mit dem Fahrrad und mit wachen Sinnen durch das Füllenbruch fährt, kann dort Energie für den ganzen Tag tanken.

Meiko Haselhorst

Die Bank ist noch ein wenig feucht vom Morgentau. Ich setze mich trotzdem hin – alles andere wäre hier schon fast fahrlässig: Rechts neben mir, nur wenige Meter entfernt, zwitschert ein Zaunkönig in der üppig blühenden Hagebutte. Direkt hinter mir, am Rand des Roggenfeldes, summen die Hummeln im feuerroten Klatschmohn. Und vor mir erstreckt sich unter dem strahlend blauen Himmel eine frisch gemähte Wiese und verströmt ihren unwiderstehlichen Duft nach Heu. In etwa fünf Metern Höhe schwebt ein Rotmilan dahin. Allein hierfür hat sich das frühe Aufstehen gelohnt.

Eine halbe Stunde zuvor: Über die Untere Wiesenstraße in Sundern geht’s mit dem Rad direkt hinein in das Naturschutzgebiet. Auf einer gemähten Wiese links neben mir tummeln sich Rabenkrähen, Saatkrähen und ein Fasanenpärchen. Und dazwischen hoppelt ein Feldhase. Kaum biege ich nach links in das Sträßchen „Am Vogelholz“ ein, bin ich schon wieder auf Herforder Gebiet. Die Stadt und die Großgemeinde Hiddenhausen teilen sich das seit 1977 geschützte Areal, der weitaus größere Teil der geschützten 140 Hektar gehört allerdings zu Hiddenhausen.

Ich überquere den schon vor Jahren renaturierten Düsedieksbach und werfe einen Blick auf die Infotafel. Elritzen soll es in diesem Bächlein geben, ein Indiz für gute Wasserqualität. Jetzt gerade sausen dort unten im Kolk nur ein paar Stichlinge herum. Mit ihren hektischen Bewegungen produzieren die kleinen Raubfische winzige Schlammwölkchen am Grund. Auf der Wasseroberfläche spiegelt sich das Sonnenlicht, unzählige Mücken vollführen auch am frühen Morgen schon einen wilden Tanz.

Ich steige auf den Sattel und fahre ein Stück weiter. Links von mir, im Schilf, knackt und knistert es leise – die Morgensonne heizt die trockenen Vorjahreshalme auf. Seit Jahren ziehen hier im Röhricht die Rohrweihen ihre Jungen groß – seltene Greifvögel, auf die die Biologen der Region ein besonderes Augenmerk haben. An diesem Morgen lassen sie sich leider nicht blicken. Dafür singen mir Rohrammer und Rohrsänger in Stereo etwas vor. Ein Kuckuck macht mir ebenfalls lautstark seine Aufwartung. Und irgendwo im Dickicht rechts neben mir verzückt mich eine späte Nachtigall mit ihrem unverwechselbaren Gesang.

Ich biege nach rechts in einen schmalen Weg ein. Unter den Reifen knirscht der Splitt. Große Weiden, Pappeln, Erlen und andere Bäume werfen hier kühlen und dunklen Schatten, ich muss die Sonnenbrille absetzen. Wilde Rosen ranken sich an den Bäumen empor. An den Wegrändern stehen zwischen all den Sträuchern schon kniehoch Brennnesseln, Wilde Möhre und Labkraut. Es riecht nach Holunderblüten.

An einigen Stellen riecht es nach fauligem Schlamm. Ich halte an, biege mit den Armen ein paar Zweige am Wegesrand auseinander und werfe einen Blick auf einen der schwarzen Waldtümpel, die im Winter gut zu sehen sind, sich im Sommer aber hinter einer dichten Blätterwand verstecken. Eine Entenmutter mit sechs Küken im Schlepptau entfernt sich leise schnatternd vom Ufer. Dafür, dass der Sommer kaum angefangen hat, steht das Wasser hier schon sehr niedrig.

Noch etwas weiter liegt rechterhand die nächste große Wiese. Häufig sind hier die Lippinghauser Weißstörche bei der Nahrungssuche zu beobachten. An diesem Morgen leider nicht. Wahrscheinlich sitzen sie in Lippinghausen auf ihrem Horst. Dafür stakst ein Graureiher mit vorsichtigen Schritten durch das hohe Gras. Als ich meine Kamera herausholen will, breitet er seine Flügel aus und stößt sich vom Boden ab. Mit seinem rückwärts gebogenen Hals und den nach hinten gestreckten Beinen erinnert er in der Luft an einen Flugsaurier.

An einer Feldweg-Kreuzung biege ich nach rechts ab, an einer kleinen Weggabelung ein weiteres Mal. Direkt vor mir scheinen zwei Eichhörnchen Fangen zu spielen. Zuerst sehen sie mich gar nicht, erst als ich nur noch wenige Meter von ihnen entfernt bin, schlagen sie sich fix in die Büsche.

Da steht sie, die Sitzbank, keinen Steinwurf entfernt von der Dorfstraße. Flankiert von Klatschmohn und blühender Hagebutte. Ich setze mich, breite die Arme auf der Rückenlehne aus, schlage die Beine übereinander und genieße. Am Heimstättenweg sind die meisten Jalousien noch unten.

„Früher haben auf dieser Wiese immer die Kiebitze gebrütet“, geht es mir nach einer Weile durch den Kopf. Dieses Jahr sind sie nicht mehr gekommen. Mit dem Kiebitz geht’s abwärts. Früher hätte man hier auch mit Sicherheit eine Lerche gesehen und gehört, wahrscheinlich sogar mehrere. Und mit etwas Glück auch ein paar Rebhühner. Alle nicht mehr da.

Von links steigt mir der Geruch von Bier in die Nase. Der Mülleimer neben der Bank quillt über, Flaschen und Dosen liegen auf dem Boden verteilt. Aber all das wollen wir heute mal ausblenden.